Kapitel 3

Dante verfluchte heftig seine Dummheit.

341 Jahre lang hatte er als Hüter für den Phönix fungiert. Nicht freiwillig und nicht ohne brodelnden Zorn über sein Los, aber mit absoluter Hingabe. Diese Hexen hatten dafür gesorgt.

Aber nun, da die Gefahr auf ihrem Höhepunkt war, entdeckte er, dass er kaum in der Lage war, sich auf die Bedrohung zu konzentrieren, die sehr nahe war.

Ungeduldig strich er sein zerzaustes Haar zurück. Verflucht, es war wirklich kein Wunder, dass er abgelenkt war. In den vergangenen Stunden hatte er mehr Schocks erlebt als in ganzen Jahrhunderten zuvor. Den Tod der unsterblichen Selena. Die wilde, berauschende Freude, als er spürte, wie die Ketten sich lösten. Und das Entsetzen, als er beobachten musste, wie der Phönix auf Abby übertragen wurde.

Abby.

Doppelt verflucht. Er starrte auf ihre schlanke Gestalt hinunter. Diese Frau war eine Plage und ein Ärgernis gewesen, seit sie auf Selenas Anwesen eingetroffen war. Mit ihrer Haut, die so weich war wie Satin. Mit ihren honigfarbenen Locken, die ihr knabenhaftes Gesicht umrahmten. Mit ihren verletzlichen Augen. Und ihrer heißen Leidenschaft, die direkt unter ihrer Scheißegal-Haltung brodelte. All das rief nach ihm wie der Gesang einer Sirene. Abby war ein schmackhafter Leckerbissen, den er in aller Ruhe hatte verzehren wollen.

Aber nun hatte sich alles verändert. Nun war sie nicht langer eine reizende Zerstreuung. Es war nicht länger ein Spiel. Sie stand nun unter seinem Schutz. Und er würde sie bis zu seinem eigenen Tode beschützen.

»Komm«, befahl er in sanftem Tonfall, seine uralten Instinkte beschwörend. »Da kommt etwas.«

Sie rappelte sich auf und musterte ihn misstrauisch.

»Und was?«

Er packte ihren Arm mit festem Griff.

»Dämonen.«

Er suchte mit seinen Sinnen und berührte die sich nähernde Dunkelheit. »Mehr als einer.«

Ihr Gesicht wurde blass, aber aufgrund der inneren Stärke, die er immer an ihr bewundert hatte, wurde sie weder ohnmächtig, noch schrie sie oder tat sonst etwas von den vielen anderen lästigen Dingen, zu denen Sterbliche so sehr neigten, wenn sie mit dem Mystischen konfrontiert wurden.

»Aber sie werden uns doch sicher keine Schwierigkeiten bereiten. Wir haben nichts, was sie wollen könnten.«

Seine Lippen kräuselten sich. »Du hast unrecht, Liebste. Wir besitzen einen Schatz, der selbst über die wildesten Träume hinausgeht.«

»Was ...«

»Ich furchte, die Fragen müssen bis später warten, Abby.«

Er zog sie eng an sich und durchquerte leise mit ihr den Raum in Richtung der kaum wahrnehmbaren Tür neben dem Bett. Dann griff er nach dem Türknauf, drehte ihn und öffnete die Tür mit Gewalt. Holz splitterte, als der Riegel aus seiner Verankerung gerissen wurde. Dante zog Abby, die er noch immer fest im Arm hielt, durch die Schatten des angrenzenden Zimmers, wobei er den Betrunkenen, der im Wodkarausch auf seinem Bett schnarchte, kaum eines Blickes würdigte.

Dante bewegte sich direkt auf das schmale Fenster zu, öffnete es und drehte sich um, um sich zu Abbys Ohr herunterzubeugen. »Bleibe dicht bei mir, und sei ganz still«, flüsterte er. »Wenn wir angegriffen werden, möchte ich, dass du hinter mir bleibst und nicht wegrennst. Sie werden versuchen, dich so zu erschrecken, dass du ihnen in die Falle gehst.«

»Aber ich will wissen, warum...«

»Nicht jetzt, Abby«, knurrte er ungeduldig. »Wenn wir hier lebendig rauskommen wollen, musst du mir vertrauen. Kannst du das?«

Es folgte ein Moment des Schweigens. In der Dunkelheit konnte Dante Abbys hauchdünne Selbstbeherrschung spüren. Sie stand kurz vor einem Zusammenbruch, und er konnte nur hoffen, dass sich der drohende Kollaps so lange abwehren ließ, bis sie sich in Sicherheit befanden.

Schließlich schluckte sie schwer und nickte widerwillig.

»Ja.«

Er sah ihr in die Augen und war überrascht von dem Anflug von etwas, was möglicherweise Wärme sein konnte.

»In Ordnung, dann gehen wir.«

Dante nahm Abbys Hand und half ihr dabei, durch das schmale Fenster zu klettern. Er wartete, bis sie auf der metallenen Plattform stand, die zu der Feuerleiter führte, bevor er ihr in die Dunkelheit folgte. Dabei hielt er nur einen kleinen Augenblick inne und spähte in die müllübersäte Gasse hinunter. Seine Instinkte warnten ihn, dass Dämonen in der Nähe lauerten. Unglücklicherweise würde hierzubleiben bedeuten, dass sie in der Falle säßen und eingekreist würden. Sie hatten keine andere Wahl, als sich vorwärts zu bewegen.

Oder in diesem Fall nach unten.

Grimmig nickte Dante in Richtung der Leiter. Mit zögernden Schritten überquerte Abby die Plattform und zwang sich, die Sprossen hinunterzuklettern. Dante wartete, bis sie den Boden erreicht hatte, bevor er heruntersprang und neben ihr landete.

Als sie ihre Lippen öffnete, um zu sprechen, streckte er einen Finger aus und legte ihn fest auf ihren Mund, wobei er heftig den Kopf schüttelte. Seine Haut prickelte wegen der drohenden Gefahr. Etwas war in der Nähe. Sehr nahe. Dante wandte sich einem großen Container zu und machte langsam einen Schritt nach vorn.

»Zeige dich«, befahl er.

In den Schatten raschelte etwas, gefolgt von dem scharfen Kratzen von Krallen auf dem Asphalt, bevor langsam eine große, massige Gestalt auftauchte. Es wäre einfach gewesen, den Störenfried auf den ersten Blick als unbeholfene, hirnlose Bestie abzutun. Mit einer dicken, lederartigen Haut, nässenden Furunkeln und einem missgestalteten Kopf, der drei Augen aufwies, handelte es sich um ein Bilderbuchexemplar des Monsters unter dem Bett. Aber Dante war mit diesem speziellen Dämon nur zu vertraut und wusste, dass unter dem hässlichen Äußeren eine raffinierte Intelligenz zu finden war, die tödlicher war als jeder Muskel.

»Haiford.« Dante machte eine spöttische Verbeugung.

»Ah, Dante.« Die tiefe, knurrende Stimme verfügte über einen geschliffenen eleganten Akzent, der perfekt zu einem vornehmen Internat gepasst hätte. Ein grotesker Kontrast zu seinem brutalen Aussehen. »Ich wusste, dass du vorbeikommen würdest, wenn du erst Wind von diesen Höllenhunden bekommen hast. Ich habe jahrhundertelang versucht, sie zu ein bisschen mehr Zurückhaltung zu erziehen, aber sie müssen wohl immer blinden Eifer an den Tag legen, wenn eigentlich Heimlichkeit angesagt wäre.«

Dante vergewisserte sich, dass er direkt zwischen Abby und dem Dämon stand, und zuckte leicht mit den Schultern.

»Höllenhunde waren noch nie für ihre Intelligenz bekannt.«

»Nein. Das ist wirklich schade. Trotzdem sind sie manchmal nützlich. Wenn sie beispielsweise Beute aufscheuchen, so dass ich nicht in einem solchen Dreck herumlaufen muss.«

Haiford streifte das verfallene Hotel mit einem geringschätzigen Blick. »Ich muss schon sagen, Dante, ich hatte immer geglaubt, du besäßest einen besseren Geschmack.«

»Was für einen besseren Ort könnte es geben, um sich vor dem Abschaum zu verstecken, als direkt vor seiner Nase?«

Haiford ließ ein grollendes Lachen ertönen, das in der Gasse auf unheimliche Weise widerhallte.

»Ein schlauer Plan, abgesehen von der Tatsache, dass jeder Bruder in der Stadt deine Schönheit aus einem Kilometer Entfernung riechen kann. Ich fürchte, ihr könnt euch nicht verstecken.«

Dante fluchte leise. Obwohl Abby den Phönix in sich trug, hatte sie sich seine Kräfte und das Wissen um die Herrschaft über diese Kräfte noch nicht völlig angeeignet. Und bis es so weit war, würde sie für jeden Dämon in der Umgebung das reinste Leuchtfeuer darstellen.

»Du unterschätzt meine Fähigkeiten«, erwiderte Dante mit seidenweicher Stimme.

»O nein, ich wäre nie so dumm, dich zu unterschätzen, Dante.« Der Dämon machte einen Schritt nach vorn, wobei seine Krallen den Asphalt zu Staub zermalmten.

»Im Unterschied zu vielen anderen aus der Bruderschaft bin ich leicht imstande, die Macht zu spüren, die zu zügeln du in all diesen langen Jahren gezwungen warst. Und das ist auch der Grund, warum ich durchaus bereit bin, dir zu gestatten zu gehen. Ich hege nicht den Wunsch, dich zu töten.«

Dante hob eine Augenbraue. »Du wirst mir gestatten zu gehen?«

»Natürlich. Ich habe nie Gefallen daran gefunden, meine Mitdämonen zu töten.« Haiford ließ etwas aufblitzen, was entfernt als Lächeln hätte durchgehen können, wenn man seine drei Reihen von Zähnen in Betracht zog.

»Lass das Mädchen hier, dann kann ich dir versprechen, dass du nie wieder belästigt werden wirst.«

Oh. Ganz plötzlich erfasste Dante die Wahrheit.

Haiford war allein. Und es war alles andere als sicher, dass er imstande war, einen Vampir zu besiegen. Zumindest nicht, bevor die anderen Dämonen, die sich versammelten, eintrafen und die Angelegenheit verkomplizierten.

»Ein ziemlich großzügiges Angebot«, gab Dante zurück.

»Das ist wohl wahr.«

»Trotzdem denke ich, dass die Aushändigung eines so unbezahlbaren Schatzes erheblich mehr wert sein sollte. Schließlich ist es ja so, dass du, wenn du gezwungen bist, mit mir um die Maid zu kämpfen, entdecken könntest, dass du dir den Ruhm mit sämtlichen Dämonen teilen musst, die eilig auf dem Weg hierher sind.«

Ein plötzlicher Schlag gegen seinen Rücken zeigte Dante, dass Abby seine spottenden Worte gehört hatte. Und natürlich vorschnell zu dem vorhersehbaren Schluss gekommen war. Schließlich war er ein bösartiger Vampir.

Er griff nach hinten und packte ihr schlankes Handgelenk mit festem Griff. Er konnte es nicht riskieren, dass sie losrannte.

Haifords Augen verengten sich. Alle drei. »Was könnte denn mehr wert sein als dein Leben?«

Dante zuckte mit den Achseln. »Es liegt wenig Sinn darin, eine Ewigkeit lang zu leben, wenn man gezwungen ist, sich in der Gosse zu suhlen. Wie du schon sagtest, bin ich an einen deutlich luxuriöseren Lebensstil gewöhnt, der ohne Selena enden wird.«

Abby wehrte sich verzweifelt gegen Dantes Umklammerung und versetzte ihm so heftige Tritte, dass sie einen Menschen hätten in die Knie gehen lassen.

»Sei still, Liebste«, befahl er, ohne auch nur den Kopf zu drehen. »Haiford und ich sind gerade dabei, mit den Verhandlungen zu beginnen.«

»Schwein! Monster! Bestie!«

Dante ignorierte die Tritte, die jedes Wort unterstrichen, indem er Haifords amüsiertem Blick begegnete.

»Ein temperamentvolles kleines Ding«, schnarrte der Dämon.

»Ein Charakterfehler, der leicht korrigiert werden könnte.«

Haiford spannte seine hervortretenden Muskeln an.

»Sehr leicht. Jetzt lass uns die Sache hinter uns bringen. Wie lautet dein Preis?«

Dante tat so, als dächte er nach.

»Natürlich ein sofort verfügbarer Nachschub an Blut. Heutzutage ist es wirklich viel zu gefährlich, draußen zwischen dem Gesindel zu jagen.«

»Nichts leichter als das.«

»Und vielleicht ein paar Shantong, um mein Versteck nachts warm zu halten«, fugte Dante hinzu. Er wählte absichtlich Dämoninnen, die für ihren unstillbaren sexuellen Appetit berüchtigt waren.

»Ah, ein Vampir mit einem exquisiten Geschmack. Ist das alles?«

Dante erkannte den Triumph, der in Haifords Augen glitzerte, und hielt den richtigen Moment endlich für gekommen. Der Dämon gab sich dem Gedanken an den Ruhm hin, der ihn ereilen würde, wenn er seinem Fürsten der Finsternis den Phönix anbot.

»Eigentlich nicht. Ich werde auch das hier brauchen.« Dante lockerte seinen Griff um Abbys Handgelenk und ergriff mit einer fließenden Bewegung die Dolche, die in seinen Stiefeln verborgen waren, rollte sich nach vorn ab, und die Dolche verließen seine Hände bereits, als er wieder auf den Füßen aufkam.

Einen Moment lang stand Haiford nur schweigend in der Dunkelheit. Es war beinahe so, als hätte er den Dolch, der tief in seinem mittleren Auge versenkt worden war, oder den anderen, der in seinem unteren Magen steckte, noch nicht bemerkt. Aber ob er sich nun in einem Schockzustand befand oder der Gefahr gleichgültig gegenüberstand, die tödlichen Wurfgeschosse hatten ihre Aufgabe erfüllt. Stöhnend brach er auf dem widerwärtigen Müll zusammen, mit dem die Gasse übersät war.

Dante zögerte keine Sekunde, sondern trat eilig vor. Geschickt schlitzte er Haiford den Hals auf und schnitt dann sein Herz heraus. Er war nie dumm genug gewesen anzunehmen, dass ein Dämon tot war, solange er nicht sein Herz in der Hand hielt. Als er schließlich zufriedengestellt war, nahm er seine Dolche und bahnte sich seinen Weg zurück zu Abby. Sie wich hastig zurück, als er sich ihr näherte.

»Abby.«

»Nein.« Sie streckte abwehrend die Hände aus. »Bleiben Sie mir vom Leib.«

Dante unterdrückte seine aufflammende Ungeduld und zwang sich, die blutigen Dolche in seine Stiefel zurückzustecken und sein wirres Haar zu glätten, bevor er wieder einen Schritt in Abbys Richtung machte. Sie war kurz davor loszurennen. Ein falscher Schritt, und er würde sie durch das Labyrinth aus Gassen verfolgen müssen.

Unter normalen Umständen ein äußerst köstlicher Gedanke, wie er zugeben musste. Allerdings war die heutige Nacht alles andere als normal.

»Abby, der Dämon ist tot«, sagte er beruhigend. »Er wird dir nichts mehr tun.«

»Und was ist mit Ihnen?«, fragte sie mit unsicherer Stimme. »Sie wollten mich an dieses... Ding verkaufen. Für Blut.«

»Sei doch keine Idiotin. Natürlich wollte ich dich nicht verkaufen.« Er umfasste ihr Kinn und zwang sie, seinem festen Blick zu begegnen. »Ich wollte Haiford nur so lange ablenken, bis ich zuschlagen konnte. Für den Fall, dass du es nicht gemerkt hast, er war etwas größer als ich. Es schien mir das Beste zu sein, eine hässliche Schlägerei zu vermeiden.«

Ihre Zunge glitt heraus, um ihre Lippen zu befeuchten. Es war eine winzige, unabsichtliche Geste, aber dennoch führte sie dazu, dass sich Dantes Finger fester um Abbys zarte Haut schlossen. Egal, wie groß die Gefahr auch sein mochte, in der sie schwebten - sie so nahe zu fühlen erweckte einen wilden, schmerzenden Hunger in ihm. Einen Hunger, der in nächster Zeit nicht gestillt werden würde, wie er befürchtete.

»Warum sollte ich Ihnen trauen?«, fragte Abby heiser.

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, während er ihr seine Hand hinstreckte. »Weil du im Augenblick keine andere Wahl hast, Liebste.«

Einige Momente vergingen, in denen sie gegen ihre inneren Dämonen ankämpfen musste, bevor sie schließlich akzeptierte, dass die Dämonen, die momentan auf der Jagd nach ihnen waren, weitaus gefährlicher waren als er.

Trotzdem war Abby ihr Widerstreben anzusehen, als sie schließlich ihre Hand in seine legte.

Dante ließ ihr keine Zeit, es sich anders zu überlegen. Er ergriff ihre Finger, und nach einem kurzen Ruck glitten sie durch die Dunkelheit. Er war verblüfft über die Enttäuschung, die in ihm darüber aufflackerte, dass Abby sich noch immer vor ihm fürchtete. Was hatte er von einer Sterblichen denn anderes erwartet?

Leider hinterließ das Wissen, dass sie ihn als etwas betrachtete, was nur eine Stufe - oder nicht einmal eine Stufe - über den bösartigen Kreaturen stand, die sie verfolgten, ein Gefühl der Leere in ihm.

Dante bog in eine Seitengasse ein und grübelte weiterhin über die Frau nach, die sich sehr anstrengen musste, um mit seinen langen Beinen Schritt zu halten. Er grübelte und brannte vor Verlangen nach ihrem warmen Fleisch, das sein eigenes berührte. Das war ohne Zweifel die Erklärung dafür, dass er nicht vorbereitet war, als der Höllenhund ganz plötzlich von dem Gebäude über ihnen sprang und ihn zu Boden warf.

Im Bruchteil einer Sekunde hatte der tödliche Höllenhund ihn überwältigt und drückte ihn zu Boden. Die Säure von seinen Zähnen tropfte auf Dantes Fleisch und verursachte ihm brennende Schmerzen.

»Verflucht«, murmelte er. »Du stinkendes, schleimiges Stück Dreck.«

Dante versuchte den Dämon an der Kehle zu erwischen und sie aufzuschlitzen, als es plötzlich in der Luft zischte, gefolgt von dem abscheulichen Geräusch von Knochen, die zermalmt wurden.

Dann fiel der Höllenhund auf die Seite. Offenbar war er tot.

»Bist du verletzt?«

Wie in einem Traum beugte sich Abby über Dante. Ihr Gesicht war mit Dreck verschmiert, und ihr Haar hing wirr und schlaff herunter, aber der Ausdruck in ihren Augen verriet Besorgnis. Dante gönnte sich einen Moment, um den hinreißenden Anblick zu genießen, ehe er sich zögernd auf den Ellbogen aufstützte. Er drehte den Kopf und betrachtete den zuckenden Dämon, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Abby zuwandte.

»Kein schlechter Schlag, Liebste«, meinte er mit einem Blick auf das rostige Rohr, das sie mit der Hand umklammerte. »Dämonentöterin der Sonderklasse, in der Tat. Fast so gut wie...«

»Wenn du den Namen Buffy aussprichst, pfähle ich dich«, warnte sie ihn und hob drohend das Rohr.

Er lachte leise. »Sehr furchterregend, Süße, aber wenn du diese Aufgabe wirklich erledigen willst, muss der Pfahl aus Holz sein.«

»Das dürfte kein Problem sein.«

»Ohne Zweifel.« Dante kam auf die Beine und streifte den Dreck ab, der an ihm klebte. »Leider wird das bis später warten müssen. Erst einmal müssen wir uns auf den Weg machen.«

Er ergriff Abby am Arm und lief weiter die Gasse entlang. Dabei blieb er wachsam. Äußerst wachsam.

Verdammt noch mal. Er war von einem Höllenhund niedergeworfen worden. Vor einer wunderschönen Frau. Er würde sich bestimmt nicht noch einmal demütigen lassen.

Vielleicht würde er getötet werden. Gepfählt, niedergemetzelt oder vielleicht auch enthauptet. Aber nicht gedemütigt. Es gab weitaus bessere Alternativen für einen stolzen Vampir.

Fast eine halbe Stunde lang liefen die beiden schweigend nebeneinander her. Sie kamen immer tiefer in die Slumgegenden. Es gab keine neuen Überraschungsangriffe, aber Dante konnte noch immer Dämonen in der Ferne spüren. Er musste unbedingt herausfinden, ob diese sie immer noch verfolgten oder ob es Abby und ihm gelungen war, ihre Spur zu verwischen.

Dante wurde langsamer und forschte in den Schatten, bis er an der Rückseite eines Backsteingebäudes eine schmale Tür entdeckte. Er sah sich um, um sich zu vergewissern, dass sie allein waren, bevor er ein Bein hob und die schwere Stahltür aus den Angeln trat. Ein dumpfes Krachen ertönte, und eine dichte Staubwolke bildete sich, aber das hielt ihn nicht auf. Er zog Abby in die verlassene Garage. Dann lehnte er sich gegen den verbogenen Türrahmen, um nach etwaigen unangenehmen Zeitgenossen Ausschau zu halten, die möglicherweise im Dunkel lauerten.

Sekunden der Anspannung verstrichen, bevor Abby schließlich der Geduldsfaden riss.

»Was machen wir hier?«, verlangte sie zu wissen.

»Wir warten.«

»Weißt du überhaupt, wohin wir unterwegs sind?«

»Fort von hier.«

Abby knirschte mit den Zähnen. »So unfassbar unklar wie immer. Ich nehme an, du denkst, das macht dich total düster und mysteriös.«

»Oh, ich bin düster und mysteriös.« Er riskierte einen Blick über die Schulter und begegnete ihrem wütenden Blick. »Magst du deine Männer etwa nicht so?«

»Ich mag sie mit Herzschlag und einer Vorliebe für Quiche statt Blut«, schoss sie unverzüglich zurück.

Dante lachte leise, als er seine Augen wieder auf die Gasse richtete. »Wie kannst du dir da so sicher sein, Liebste? Du hast es ja noch nie mit einem Vampir probiert. Ich kann dir versprechen, dass es ein Erlebnis sein wird, das du nie vergessen wirst.«

»Hey, du bist wohl verrückt. Oder der arroganteste...«

Plötzlich hob Dante warnend die Hand. »Pst.«

Augenblicklich in Alarmbereitschaft versetzt, spähte Abby in die Dunkelheit. »Kommt da irgendwas?«

»Ja. Bleibe hinter mir.«

Sie warteten in angespanntem Schweigen, bis endlich der gedämpfte Klang von Schritten, die näher kamen, zu hören war. Dante sog witternd die stinkende Luft ein und vergewisserte sich rasch, dass die Störenfriede menschlich und nicht dämonisch waren, bevor er seine Muskeln entspannte. Sie stellten für ihn keine wirkliche Gefahr dar.

Dann wurde die Stille durch ein statisches Rauschen und eine Stimme unterbrochen, die aus einem Walkie-Talkie drang. Dante hörte, wie Abby leise aufkeuchte.

»Dante, das ist die Polizei. Die können uns helfen«, zischte sie, bevor sie ohne Vorwarnung auf die Tür zustürmte.

Dante reagierte rein instinktiv, als er die Arme ausstreckte, um Abbys zierliche Gestalt zu umschlingen. Sanft zog er sie in das Gebäude zurück und drückte sie gegen die Wand. Sie hob wütend die Hände, um gegen seine Brust zu trommeln.

Dante, der den Schrei, der ihre Anwesenheit verraten hätte, vorhersah, neigte seinen Kopf und presste seinen Mund auf den von Abby.

Seine Absicht war ehrenhaft. Der Kuss war nur ein Mittel, um eine Katastrophe zu verhindern. Aber in dem Moment, als er ihre seidenweichen verlockenden Lippen berührte, war jede Ehre vergessen.

Eine explosive Hitze flammte zwischen ihnen auf, als Dantes Griff fester wurde, und er fiel mit einer unverhohlenen Gier über Abby her. Verdammt, er wollte sie. Er wollte sie schmecken, verführen, verschlingen, bis seine dunkle Begierde gesättigt war.

Ruhelos wanderten seine Hände an ihrem Rücken nach oben und streiften die unwiderstehliche Haut ihres Nackens, bevor sie in die honigfarbenen Locken eintauchten. Er hielt Abbys Kopf fest, als er fortfuhr, ihren Mund zu erobern, und alle Gedanken an Gefahr waren in einem Schleier aus sengender Lust vergessen.

Abby, die gegen ihn gepresst war, versteifte sich vor Schreck über die plötzliche Umarmung, stieß aber dann schnell ein leises Stöhnen aus und schlang die Arme um Dantes Hals, während sie ihre Lippen unter seinen öffnete. Fast so, als ob sie auf diesen Moment mit der gleichen wilden Intensität gewartet hätte wie er.

Angesichts dieser unverkennbaren Kapitulation wurden Dantes Küsse noch intensiver. Abby bewegte sich rastlos gegen seine Schenkel, während seine Lippen über ihre glatten Wangen und über ihren Hals glitten. Er ertrank in dem leidenschaftlichen Feuer, das sie in ihm entfesselt hatte.

»Abby... meine süße Abby... ich will dich unter mir fühlen«, stieß er heiser hervor.

Er spürte, wie sie sehnsüchtig unter seiner Berührung erbebte, bevor sie abrupt zurückwich, um ihn mit weit aufgerissenen Augen anzustarren.

»Bist du wahnsinnig?«, keuchte sie und presste die Finger gegen ihre geschwollenen Lippen.

Dante, der nicht auf ihren heftigen Rückzieher vorbereitet gewesen war, biss die Zähne zusammen und schob die Hände grob in seine Jeanstaschen. Es war ein harter Kampf, die Oberhand über die Begierde zu gewinnen, die noch immer durch seinen Körper pulsierte.

Ein schneller Ruck, ein paar heiße Küsse, dann würde er sie auf dem staubigen Boden in Besitz nehmen und tief in ihren Körper eindringen.

Glücklicherweise bahnte sich allmählich die Vernunft ihren Weg durch seinen vernebelten Verstand. Vorsichtig machte er einen Schritt zurück und sah Abby an. Mittlerweile hatte er sich wieder etwas beruhigt.

»Ich habe versucht, dich davon abzuhalten, uns beide zu töten. Ich konnte es nicht zulassen, dass du nach diesen Polizisten rufst«, erklärte er mit ruhiger Stimme.

Sie runzelte die Stirn. »Denkst du, dass diese Dämonen die Polizei von Chicago infiltriert haben?«

»Nein, ich denke, dass wir uns in der Sekunde, in der du versuchst, diesen netten, fantasielosen Polizisten zu erklären, dass wir von bösartigen Dämonen und Höllenhunden verfolgt werden, in einer hübschen Gummizelle wiederfinden werden. Wenn wir nicht zuerst für den Mord an Selena in den Knast wandern. Ich weiß ja nicht, wie es bei dir aussieht, aber ich würde lieber nicht in eine Zwangsjacke gesteckt werden oder eine Zelle mit einem spektakulären Blick auf den morgendlichen Sonnenaufgang bekommen.«

Abbys Miene versteinerte, als ob sie sich wünschte, ein Argument gegen seine Logik zu finden. Dann seufzte sie verärgert auf.

»Schön. Und wie sieht nun deine brillante Lösung aus? Sollen wir bis in alle Ewigkeit durch diese ekelhaften Gassen kriechen?«

Er zuckte mit den Achseln und ging wieder auf die Türöffnung zu. »Ich hoffe, es wird nicht ganz so lange dauern. Ich kenne da einen bestimmten Ort, aber ich muss mir sicher sein, dass wir unsere blutdurstigen Freunde abgeschüttelt haben.«

»Oje, was für ein Schlamassel«, murmelte Abby.

Dante zwang seine Vampirzähne gewaltsam zurück, während die Schauder der Begierde seinen Körper noch immer nicht in Ruhe ließen.

»Ausnahmsweise, Liebste, stimme ich voll und ganz mit dir überein.«